Ein stilles „Jubiläum“ Anno Domini 2011
Wenn wir uns in das Jahr 1231 begeben, dann befinden wir uns im ausklingenden Hochmittelalter, in einer Zeit, in der die Fehde gängiges Mittel zur Austragung von Rechtsstreitigkeiten war. So war es allen voll Wehrfähigen (Grafen, Ritter und höherer Adel) erlaubt, verletzten Rechtsanspruch durch eigene Gewaltanwendung wiederherzustellen.
Im heutigen modernen Staat darf sich kein Bürger sein Recht auf eigene Faust nehmen. In einem juristischen Streit entscheiden die staatlichen Gerichte, setzen staatliche Behörden das Urteil durch. Sie allein dürfen im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen gewaltsam vorgehen. Dieses Monopol auf legitime Gewaltanwendung ist der gravierende Unterschied zur politischen Ordnung des Mittelalters, wo ein Rechtsstreit allein Sache der streitenden Parteien war. Wer sich in seinen Rechten gekränkt sah, führte eine Fehde und mit ihm seine Verwandten sowie geschworenen Freunde als Fehdehelfer. Die Fehde wurde nach dem Prinzip des „Schadentrachtens“ geführt: Alles, was der Gegner hatte, konnte zerstört werden. Zwar gab es daneben die Möglichkeit der friedlichen Einigung vor Gericht, wobei der geschädigten Partei die Rache durch eine Bußzahlung gleichsam abgekauft wurde, aber das setzte die Zustimmung aller Beteiligten voraus und kam deshalb oft nicht zustande. In Glandorf jedoch scheint genau so ein „Vertrag“ ausgehandelt worden zu sein. Denn Fehden richteten ungeheuren Schaden an, zumal sich mit dem Rittertum eine Berufskriegerschicht herausbildet hatte, die den bewaffneten Kampf als ihre Hauptaufgabe ansah und Fehdeanlässe geradezu suchte. Die Kampfhandlungen blieben nicht auf die Fehdeführenden selbst beschränkt, denn Fehdeobjekte waren auch die Grundherrschaften der jeweiligen Gegner mit den abhängigen Bauern und den Eigenkirchen und -klöstern. Erst der Erlass des allgemeinen Landfriedens durch Kaiser Maximilian I. im Jahre 1495 brachte ein umfassendes Fehdeverbot. Das Reichskammergericht übernahm die juristische Schlichtung der Streitfälle. Aus dem Landfrieden entwickelten sich daher die Anfänge des modernen Staates.
1231 waren die Grafschaften Tecklenburg und Ravensberg ausgesprochene Erzfeinde und das schon seit den Kämpfen des 12. Jahrhunderts um die Herrscherwürde im deutsch-römischen Kaiserreich, in denen die Tecklenburger auf Seiten der Welfen und die Ravensberger als einzige westfälische Grafen zu den Staufern standen.
Als kaiserlich eingesetzte Grafen besaßen beide Häuser das Lehnsrecht, welches ihnen die Besteuerung, die Wehrverfassung, die Gerichtsverfassung und die Ämterverfassung unterstellte. Die Grafschaften waren deshalb daran interessiert, ihre eigenen Territorien auszubauen. Somit kämpften diese Grafengeschlechter um die Vorherrschaft zwischen Weser und Ems.
Das also grundsätzlich gespannte Verhältnis eskalierte häufig in gewaltsamen Auseinandersetzungen, die nur einen geeigneten Grund bedurften, um in Gang gesetzt zu werden.
Pastor Schmitz beschreibt diese in seinem Buch „Geschichte Glandorfs“ aus dem Jahr 1904, wie folgt:
„… Engelbert, Erzbischofs von Köln. Von ihm erzählt das Proprium Osnabrugense, daß er infolge seiner Verteidigung der Rechte und der Freiheit der Kirche gegen einen Verwandten ermordet worden sei. Sein Neffe, Graf Friedrich von Isenburg, hatte nämlich das Nonnenkloster zu Essen an der Ruhr viel und lange beunruhigt und auch beschädigt. Die Klosterfrauen wandten sich in ihrer Not endlich nach Rom. Der Papst beauftragte darauf den Erzbischof Engelbert von Köln mit der Untersuchung der Sache, beziehungsweise mit der Bestrafung des Schuldigen. Dieses Vorgehen verdross den genannten Neffen des Erzbischofs so sehr, daß er seinen Oheim, als dieser einst von der Einweihung einer neuen Kirche zu Schwelm zurückkehrte, grausam ermordete. Dieses geschah im Jahre 1225, den 7. November. Den unglücklichen Mörder trafen Acht (= Ächtung*) und Bann (= Exkommunikation*). Er floh darauf nach Tecklenburg, wo der Graf, sein Vetter, ihn in Schutz nahm. Hieraus entstand die große Isenburg Fehde, die 1236 zum großen Nachteile des Grafen von Tecklenburg endete. Mitten in dieser Fehde, im Jahre 1231, hat der Graf von Tecklenburg mit dem Grafen von Ravensberg einen Separatfrieden geschlossen und zwar in Glandorf. — Daß die kriegsführenden Parteien gerade Glandorf zum Friedenschließen erwählten, wird wohl darin seinen Grund gehabt haben, daß dieser Ort in der Mitte zwischen Tecklenburg und Ravensberg liegt, worüber auch der gewöhnliche Verkehrsweg zwischen diesen beiden gräflichen Schlössern ging. Auch kam vielleicht in Betracht, daß zu Glandorf im sogenannten Stuhlgarten das Freigericht gehalten wurde.“
Graf Otto I. von Tecklenburg nahm also den Bischofsmörder Friedrich II. von Isenberg auf und verfiel ebenfalls der Reichsacht, worauf der neue Kölner Erzbischof und der Osnabrücker Bischof versuchten, unterstützt vom Grafen Ludwig von Ravensberg, die Grafschaft Tecklenburg ab 1227 zu zerschlagen.
Otto I. verlor zwar die Vogtei (=amtliche Verwaltung u. Gerichtsbarkeit*) über das Osnabrücker Bistum und über die Iburg, verhinderte aber geschickt die geplante Zerschlagung seiner Herrschaft. Bischöflicher Einfluss und die militärische Gewalt der Ravensberger konnten das gesetzte Ziel nicht erreichen und so endete das Vorhaben in den Friedensverhandlungen in Glandorf.
Das „Vertragswerk“, das diese Vorgänge festhält, befindet sich heute im Staatsarchiv Münster. Schon die ersten Zeilen zeigen, wie tief verwurzelt dieser Konflikt war:
„Allen Christgläubigen, die jetzt sowie künftig leben und die vorliegende Urkunde einsehen, sei bekannt, dass im Zusammenhang mit der Tötung des Grafen Simon von Tecklenburg (08. Aug. 1202*), die Graf Hermann und seine Söhne, die Grafen Otto, Hermann und Ludwig, mit Erlaubnis des Herrn an ihm verübt haben, zwischen den Grafen Heinrich und Otto von Tecklenburg und den schon genannten Grafen von Ravensberg unter Vermittlung des Herrn Adolf, des damaligen Erzbischofs von Köln, und anderer ehrenwerter Männer ein voller Vergleich geschlossen worden ist. Da dieser von dem Grafen 0[tto] von Tecklenburg und von den Grafen 0[tto] und L[udwig] von Ravensberg kaum eingehalten wurde, stritten sie eine Zeitlang untereinander und die Zwietracht unter ihnen nahm immer mehr zu. Schließlich beschlossen sie mit Zustimmung des Herrn, dem Rat ihrer Freunde zu folgen und sich von neuem auszusöhnen, was auch in der folgenden Form geschehen ist…“
Die Urkunde greift somit ursächliche Ereignisse der jahrzehntelangen Fehden zwischen den verfeindeten Grafenhäusern auf und stellt so einen juristischen Vergleich dar, der zu einer verbindlichen Einigung führte. Besitzverhältnisse wurden auf das Jahr 1202 zurückgesetzt und Bußzahlungen vereinbart. Der volle Wortlaut dieses Friedensschlusses ist im “Heimatjahrbuch Osnabrücker Land 2007“ nachzulesen.
Das Originaldokument endet mit den für den Heimatforscher wichtigen Worten: „…apud Glanthorp…“ – bei Glandorf – !
Für den Heimat- u. Kulturverein Glandorf e.V.
F. Niermann
*Anmerkung des Verfassers
Quellen: